Der Heilige Liudger:
Missionar – Abt – 1. Bischof von Münster
Hl. Liudger (* um 742 – † 809)
Schreibweise: Liudger (erst ab 12.Jh. Ludgerus);
Namensbedeutung: = Speer des Volkes (althochdeutsch)
* um 742/47
vermutlich in Suabsna bei Utrecht,
Sohn der christlichen Eltern (Thiadgrim und Liafburg);
Mitglied eines angesehenen und weitverzweigten friesischen Adelsgeschlechts.
* um 747/8 Karl d.Gr. 751 Pippin der Jüngere wird König der Karolinger
754 Martyrertod des Bonifatius in Dokkum
Schulausbildung 756-767
Schon früh für eine geistliche Laufbahn bestimmt;
in Utrecht an der Domschule (Martinsstift) beim Missionar Gregor von Utrecht Ausbildung in den „sieben freien Künsten“
Studium:
767-768 in York Domschule beim Gelehrten Alkuin (* 730 – † 804)
Diakonenweihe durch Erzbischof Ethelbert von York (England)
768-769 Aufenthalt in Utrecht
768 Karl d.Gr. wird mit seinem Bruder Karlmann König der Franken
769-772 Weiterführung der Studien in York nach Karlmanns Tod (†771)
Alleinherrschaft Karl d.Gr. (†814)
772-775 Rückkehr ans Utrechter Martinistift, gezwungen durch Konflikte zwischen Angeln und Friesen; – Aufenthalt bis nach dem Tod Gregors (†775), dessen Biographie er verfasste
772-804 Der Sachsenkrieg unter Karl dem Großen
Mission
775-776 1. Missionsauftrag in Deventer, wo er über dem Grab es Friesenmissionars Lebuin (†773) die Kirche neu errichtete
Priesterweihe (7.7.) 777 dann nach Dokkum in die Friesenmission.
Hier konnte er unter seinen Landsleuten gute Erfolge erzielen.
Widukinds Aufstand 784 zerstörte seine Arbeit und er konnte knapp sein Leben retten.
785-787 Pilgerreise nach Rom und
zu den Benediktinern nach Monte Cassino. Papst Hadrian I. (772-795)
787 Karl der Große ernennt Liudger zum Missionsleiter für das mittlere Friesland
792 Karl der Große überträgt ihm die Friesen- u. Sachsenmission, die seit 785 Wirkungsstätte des Abtes Bernradh als Missionsleiter war
792 Sachsen- u. Friesenaufstand
793 Liudger gründet in Mimigernaford ein Kloster (Monasterium =Münster) in dem er mit seinen Mitarbeitern nach der Regel Chrodegangs lebte.
797 Gründung der Domschule in Münster
Gründung mehrerer Klöster
u.a. um 800 das Eigen-Kloster Werden
30. März 805 Bischofsweihe in Köln vom (Erz-) Bischof Hildebold (787-818)
Liudger wird 1. Bischof des neu gegründeten Bistums Münster
805-809 Aufbau von Pfarrstrukturen im Bistum Münster + Visitationsreisen
† 26. März 809 Liudger stirbt plötzlich in Billerbeck (während einer Predigt)
Aufbahrung in Münster in der St. Marienkirche
26. April 809 Übertragung der Gebeine gemäß seinem Wunsch in das Kloster Werden, Grab urspr. außerhalb der Klosterkirche – später durch Kirchenerweiterung innerhalb
Verehrung
seit dem 9. Jh. Verehrung bes. in Münster, Billerbeck und Essen-Werden
Darstellung mit einer Kirche oder seit 12. Jh. mit 2 Gänsen
Die missionarische Herausforderung der damaligen Zeit:
a) Der missionarische Auftrag Christi:
b) Die soziale und religiöse Situation bei den Westsachsen
c) Schwertmission – Herzensmission
a) Der Missionarische Auftrag Christi:
„Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern;
tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,
und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe.“ (Mt 28,19f)
Christentum verstand sich als Religion der Offenbarung für alle Völker;
(Aufbau einer Geistesverwandtschaft
über Grenzen der Blutsverwandtschaft hinaus)
die überzeugend zu predigen war,
(Inhalt = Jesus Christus = Gottes Sohn, Gebot der Liebe bis zur Feindesliebe;
Option für die Armen)
entsprechend individuell auch mit Herz und Geist angenommen sein wollte
(Ziel: Christsein aufgrund von Einsicht und Entscheidung)
und durch die Taufe vollzogen wurde.
(Persönliche Absage an heidnischen Glauben
und Bekenntnis zum dreifaltigen Gott).
b) Die soziale und religiöse Situation bei den Westsachsen
– keine Schriftkultur;
– Stammesurahn: Die prägenden Bande der Blutsverwandtschaft
– Ethik: der eigene Stamm = gut; alles fremde = feindlich, daher zu bekämpfen.
– Unterordnung der Untertanen unter den Stammesfürsten; Adelsherrschaft
– Die Götter waren – nicht anders als die germanische Stammeswelt: die Sachsen (saxnot = Kurzschwert) – kriegerisch und verlangten zum Beispiel Kriegsopfer.
Götter waren z.B. (Donar/Thor (Donnerstag) oder Wodan/Odin (Wut))
Den Missionaren stellten sich hier unlösbare Aufgaben. Wie sollten sie, die gemäß dem Neuen Testament den Frieden Jesu zu verkündigen hatten, auf Gottesvorstellungen antworten, die vorwiegend kriegerisch waren, so bei Wodan und Donar? –
c) Schwertmission – Herzensmission
Die Erstbekehrung der Germanenkönige erfolgte in aller Regel erst nach der Erfahrung göttlicher Sieghilfe, eben unter dem Eindruck, dass ihnen Christus als der „stärkere Gott“ in der Schlacht zum Sieg verhalf. (vgl. Bonifatius Fällung der Donareiche)
Herausforderungen:
sächsische Sozial- u. Religionsordnung
christlicher Glaube
Kollektivität:
die Sippe, der Sippenälteste,
„Der einzelne als solcher war rechtlich überhaupt nicht existenzfähig. Er besaß Rechtsschutz und Sicherheit nur als Glied einer Gemeinschaft.“
auch Verpflichtung aller an den jeweiligen kultischen Handlungen eines Stammes.
Entscheidungen fielen kollektiv und wurden vom Stammesfürsten her nach unten hin durchgesetzt.
Die Bedeutung des Urahns und der Familiensaga.
Taufe erfordert die freie Entscheidung eines jeden einzelnen (faktisch unmöglich).
Dazu wäre eine individuell-freie und literate Gesellschaft vonnöten gewesen.
Einzelentscheidung hieß Ausstoß aus der Sippe.
Ethik
Das Sozialverhalten war auf den inneren Kreis beschränkt:
Güte für die Eigenen und Kampf gegen die anderen.
Der Fremde = der zu bekämpfende Feind.
– Blutrache bei erlittenem Unrecht
Universale Humanität:
Gebot der Liebe und Barmherzigkeit auch dem Fremden/Feind gegenüber
– Vergebung von erlittenem Unrecht
Opfer
Die Götter mussten durch Opfer gnädig gestimmt werden.
(z.B. Säuglingsopfer bei Baumaßnahmen)
Abschaffung aller Menschenopfer
Grab und Totenkult
Das Grab galt als Haus des Toten, wohin der Besitz mitgenommen wurde.
Die Grabausstattung sollte die Fortsetzung des irdischen Lebens im Jenseits ermöglichen. (Waffen, Pferde und auch Sklaven als Grabbeigaben).
Umwandlung der Grabgaben in Sozialgaben.
Bsp. Hl. Ida von Herzfeld: als hochadelige Karolingerin hätte sie Anspruch auf eine reiche Grabausstattung gehabt; noch zu Lebzeiten ließ sie sich einen Sarg anfertigen und füllte ihn täglich mit Gaben für die Armen.
Geister und Dämonen
alles Geschehen wird durch Geister und Dämonen bestimmt
Entzauberung der Welt durch das Christentum (Fällung der Donareiche).
Zerstörung von heidnischen Tempeln, um die Machtlosigkeit dieser Götter zu demonstrieren.
Die Mission wurde dadurch „konfrontativ“: Sie hatte kein Interesse am Dialog zwischen Religion und Kultur. Ziele waren die Befreiung der Heiden von der Teufelsherrschaft und Beseitigung ihres Kultwesens.
Liudger und die wilden Gänse
Auf seinen Missionsreisen teilte Liudger das einfache Leben der Menschen, nahm teil an ihrer Freude, an ihren Sorgen und an ihrem Leid. Verschiedene Geschichten und Legenden berichten von seiner Sorge für die ihm anvertrauten Menschen. Zugleich ließ er sie teilhaben an dem, was ihn bewegte, an seiner Hoffnung und an seinem unerschütterlichen Vertrauen auf Gott.
Eine der Legenden, die von Liudger überliefert werden erzählt davon, wie Liudger einst in eine Gegend kam, in der die Bauern sehr unter Scharen von Wildgänsen zu leiden hatten, die auf den Feldern die junge Saat verzehrten, so dass man eine baldige Hungersnot befürchtete. Zudem schnatterten sie jede Nacht so laut, dass kein Mensch mehr schlafen konnte. Liudger ging hinaus und betete laut über den Wildgänsen, während er das Kreuz in der Hand hielt. Die Wildgänse flogen unter lautem Schreien auf und verschwanden aus der Gegend, um niemals wiederzukehren.
Die Liudger-Legende und ihr Wahrheitsgehalt
Liudger wird oft in der Kunst mit zwei Gänsen dargestellt, die vermutlich mit dieser Legende in Verbindung stehen. Doch was ist der Wahrheitsgehalt dieser wunderbaren Legende?
Vor Jahren las ich einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Gänsen geht’s am Pröbsting-See gut“, der davon berichtete, dass Wildgänse wieder in die Gegend bei Borken zurückgekehrt sind, weil man verstärkt Feuchtgebiete angelegt hatte.
Vermutlich war es beim heiligen Liudger genau umgekehrt.
Das Münsterland war in der Zeit um 800 ein sehr feuchtes Gebiet. Liudger brachte vermutlich den westfälischen Bauern nicht nur Lesen und Schreiben und die Kenntnis des christlichen Glaubens bei, sondern zeigte ihnen auch, wie sie ihre Felder durch Entwässerungsgräben trockenlegen können, so dass für die Wildgänse dort kein geeigneter Lebensraum mehr war und die Gänseplage beseitigt wurde.
Die frommen Menschen der damaligen Zeit verstanden die Beseitigung der Gänseplage als Auswirkung der Frömmigkeit des heiligen Liudger – haben sie damit nicht Recht? Frömmigkeit ist ja die „Alltagstauglichkeit des Glaubens“ – und dazu gehörte damals auch die Weitergabe von Kenntnissen in der Agrarkultur.
© G. M. Ehlert, 31. März 2016